Max Frischs „Andorra“: Der Hass in postfaktischen Zeiten

Reportage - Reportage vom 08.06.2017

Bettina Schack 04.06.2017 - 10:00 Uhr Dinslaken.

Schülerinnen und Schüler des Gustav-Heinemann-Gymnasiums präsentierten unter der Leitung von Adnan Köse ihre Auseinandersetzung mit dem Stück.

Ein junger Mann wird so lange in ein Korsett von Vorurteilen gezwängt, bis er diese bis zur Selbstzerstörung verinnerlicht hat: Hass und Selbsthass erschaffen ein Zerrbild, gegen das alle Fakten der Welt machtlos sind. Es siegen nur Wahnsinn und Tod. "Andorra", 1961 von Max Frisch als Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus auf die Bühne gebracht, ist in einer postfaktischen Zeit voller erstarkenden Ressentiments gegenüber Fremden brandaktuell. Ein Schuljahr lang setzten sich Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 10 des Gustav-Heinemann-Gymnasiums Hiesfeld gemeinsam mit Regisseur Adnan Köse mit "Andorra" auseinander. Gefördert wurde das multimediale Theaterprojekt aus Mitteln des NRW-Landesprogramms "Kultur & Schule.

Stück besteht aus Spielszenen, Lesungen und Videos

Am Mittwoch nun präsentierte das Ensemble das Ergebnis des "Experiments", wie es Schulleiter Bernd Saalfeld nannte: Keine fertige Inszenierung des Stückes, sondern eine inszenierte Auseinandersetzung mit dem Stück aus Spielszenen, Lesung und Videoeinspielungen, in denen die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Gedanken über die von ihnen dargestellten Charaktere und die gruppendynamischen Prozesse, die diese steuern, in Worte fassten. Das ganze reduziert auf das Wesentliche, mit eindringlichen Theaterdialogen auf der Bühne und tiefgehenden Analysen von der Leinwand. Ein gelungener theaterpädagogischer Ansatz, der nicht nur schauspielerische Talente weckte, sondern auch Schülerin Johanna van der Linde als Regieassistentin große Verantwortung übertrug. Chancen für die Mitwirkenden zwischen 15 und 16 Jahren, sich zu entdecken.

Theaterstück mit Bezug zur Moderne

Das Stück: Im fiktiven Zwergstaat Andorra gibt ein Lehrer (Niklas Hasselkamp) seinen unehelichen Sohn (Andri) als jüdisches Pflegekind. Eine Lebenslüge mit verhängnisvollen Folgen. Andri (Sebastian Sanders) verliebt sich nicht nur unwissentlich in die eigene Schwester (Anna Pappert), er wird von den zutiefst rassistischen Andorranern in eine Rolle gedrängt, die allein ihr Hass und ihre Vorurteile als Zerrbild der Wirklichkeit kreiert haben. Schließlich ist Andri gebrochen, fügt sich mit verinnerlichtem Selbsthass in die Opferrolle ein. Die Szene zwischen dem aggressiven mauernden Andri und dem verzweifelten, kraftlos gewordenen Vater gehört zu den stärksten Momenten des Abends: In der postfaktischen Gesellschaft werden Tatsachen nur als weitere Lügen empfunden. Frisch greift auf die Vorurteile des Antisemitismus zurück, Regisseur Adnan Köse bezieht sich auf Ressentiments gegen Flüchtlinge. Den Kern trifft sicherlich Sebastian Sanders im Video: Rassismus ist eine Spielart des Mobbings.

DIE MITWIRKENDEN SCHÜLERINNEN UND SCHÜLER

Es spielten: Anna Pappert (Barblin), Sebastian Sanders (Andri), Niklas Hasselkamp (Lehrer), Alina Altena (Pastor), Paula Ackenhausen (Doktor), Jana Prill (Mutter), Klara Vukadin (Senora), Lilli Koch (Tischler), Nick und Luke Brüggemann (Soldaten).

Quelle: www.nrz.de/staedte/dinslaken-huenxe-voerde/max-frischs-andorra-der-hass-in-postfaktischen-zeiten-id210784939.html

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