„Think tank“ Weimar – Stufenfahrt 2019 nach Weimar

Reportage - Reportage vom 17.11.2019

„Wenn es einen Ort gibt, an dem europäische Geschichte und Zukunft thematisiert werden können, dann ist es Weimar.“

So hat Jorge Semprun, Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels und ehemaliger Häftling des Konzentrationslagers Buchenwald, Weimar als  bedeutenden Ort für Vergangenheit und Zukunft beschrieben und wir, die Q1, machten uns unter diesem Motto in Weimar auf Spurensuche der europäischen Geschichte.

Unsere Reise begann am Montag, den 11. November 2019 um 7.15 Uhr morgens an der Schule, wo wir uns von unseren Eltern verabschiedeten und uns auf die fast siebenstündige Fahrt nach Weimar begaben.

Hier wurden wir dann zunächst herzlich von einem Mitarbeiter der Europäischen Jugendbildungs- und Begegnungsstätte Weimar begrüßt und bezogen unsere Zimmer. Danach wurden wir grob über die Stadt informiert und in Gruppen eingeteilt, in denen wir die Möglichkeit hatten, Weimar zu erkunden und uns einen ersten Überblick über die Vielfältigkeit der Stadt zu verschaffen. Trotz der Kälte und unserer Müdigkeit nach der langen Busfahrt, waren wir alle sehr motiviert die Stadt kennenzulernen und begeistert von den alten Häusern und den vielen historischen Plätzen.

Am nächsten Tag gingen wir nach einem ausgiebigen Frühstück in drei Gruppen, die wir zuvor eingeteilt hatten. Diese wurden von Mitarbeitern der EJBW geleitet und beschäftigten sich mit der Weimarer Klassik, mit der Nationalversammlung von 1919 und dem Bauhaus, also der Weimarer Kunst. Hier erfuhren wir am Vormittag grundlegende Informationen über unsere gewählten Themengebiete und besuchten am Nachmittag jeweils ein Museum, eine Gedenkstätte oder eine Ausstellung, wie zum Beispiel Goethes Wohnhaus oder das Bauhaus Museum. Nach diesen Besuchen tauschten wir uns alle gemeinsam gespannt über die Ergebnisse des Tages aus und überlegten uns, welche Ideen aus dem „think tank“, also der Denkfabrik Weimars, bestehen geblieben sind und was sich grundlegend verändert hat. Als dieser aufregende und historisch geprägte Tag sich zum Ende neigte, machten sich einige von uns am Abend noch auf den Weg in die Stadt um den Tag dort ausklingen zu lassen.

Der Mittwoch gestaltete sich ganz nach dem Thema „Think tank Weimar 2019“ – kreative Erarbeitungen neuer europäischer Ideen und wir begaben uns nach dem Frühstück wieder in die Gruppen vom Vortag. Jetzt lag es an uns: Wir hatten die Möglichkeit unsere Ideen für Europa auf eine kreative Art umzusetzen. Ganz egal ob anregende Erklärvideos über den Begriff Humanität, Gedichte über die Entwicklung der Gesellschaft und insbesondere der Frauen und ihren Rechten, Reden über eine lebenswerte Zukunft oder Geschichten über zwei verschiedene zukünftige Welten, wobei in der einen Krieg und Hass die Überhand nehmen und in der anderen Frieden, Akzeptanz und Demokratie herrschen. An diesem Tag konnte wirklich jeder von uns kreativ werden, was allen große Freude bereitete.

Da es vorgesehen war, dass wir am nächsten Tag die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald besichtigen sollten, wurden wir am Abend mit der Dokumentation  „Hitlers Weimar“ über diesen Ort und der Geschichte, die damit zusammenhängt, informiert. Vielen von uns wurde das erste Mal bewusst, was uns dort erwarten würde und mit welchen schrecklichen Vorstellungen wir konfrontiert werden würden. Schon bei der folgenden Besprechung des Filmes schwieg der ganze Raum, alle waren traurig, entsetzt und geschockt.

Dann war es auch soweit. Am nächsten Morgen nahmen wir gemeinsam früh den Bus Richtung Gedenkstätte Buchenwald, wo wir schon von den Mitarbeitern dieser erwartet wurden. Nach einer kurzen Begrüßung und Einweisung in den Tag wurden wir noch darüber informiert, dass uns reine Brutalität und Folter der Vergangenheit erwarten wird und wir jederzeit die Möglichkeit dazu haben, die Tour für eine gewisse Zeit zu unterbrechen, wenn wir unsere Emotionen nicht mehr zurückhalten können. Danach liefen wir gemeinsam auf das ehemalige Lagergelände in einen heutigen Seminarraum, wo wir uns anhand eines Modells einen ersten Überblick über das Lager verschafften. Uns wurde viel darüber erzählt, welche Ideologien hinter den Machenschaften des Nationalsozialismus steckten, wie man sich heute dank gefundener Schriften der Inhaftierten, der US-Army und der Nationalsozialisten selbst über die Abläufe im Konzentrationslager sicher sein kann und welche Arbeiten, Leiden und Lasten die Häftlinge auf sich nehmen musste.

Nach diesem Vortrag wurden wir dann über das ehemalige Lagergelände geführt und betrachteten zunächst das Tor mit der Inschrift „Jedem das Seine“, was von den Nationalsozialisten anders interpretiert wurde als von den Inhaftierte, die aus dieser Schrift häufig die letzte Kraft nahmen zu arbeiten und die Hoffnung auf Freiheit bis zu ihrem Tod nicht aufgaben. Dieser Spruch hatte für die Mitarbeiter des KZ jedoch eine ganz andere Bedeutung, nämlich dass jeder Häftling zu Recht gefangen genommen wurde und die schrecklichen und unmenschlichen Lasten und Foltermethoden nicht anders verdient hatte.

Schließlich besichtigten wir die ehemalige Pathologie, in der damals Menschenversuche für noch nicht ausreichend erforschte Impfungen und Medikamente gestartet wurden. In diesem Raum waren außerdem alte pathologische Instrumente zu sehen, mit denen die Versuche an den Leichen der Inhaftierten durchgeführt wurden. Schon in diesem Raum war die Brutalität der Nazis nicht schwer zu erkennen, denn der Untersuchungstisch war voll mit Kratzern von Messern und Sägen.

Im danebenliegenden Krematorium wurde uns erklärt, dass die Asche der Verstorbenen einfach auf dem Gelände verschüttet wurde, keine Leiche jemals begraben wurde und es teilweise auch so viele Leichen gab, dass der unter dem Krematorium liegende Leichenkeller oftmals bis unter die Decke mit Toten gefüllt war. Ebenfalls hatten wir die Möglichkeit diesen Keller zu besichtigen. Hier sah man noch Haken an den Wänden, wo einige Inhaftierte aufgehängt worden sind. Der Raum machte die Anzahl der Toten und Leidenden sowie die Brutalität so deutlich, dass einigen von uns in  Tränen ausbrachen  und sie den Raum schnell verließen. Spätestens jetzt hatten wir alle Gänsehaut und schwiegen wegen der bedrückenden und angespannten Stimmung auf dem Gelände. Wir besichtigten zudem noch die Einzelarrestzellen, die Erschießungsanlage sowie ein Museum im ehemaligen Desinfektionsbereich des KZ, wo wir uns alte Briefe und Schriften, die Kleidung der Häftlinge und deren gefundene Habseligkeiten anschauen konnten.

Abschließend trafen wir uns erneut mit unserer Gruppe und redeten darüber, wie die Gedenkstätte heute versucht, den Opfern des Konzentrationslagers ehrenwürdig zu gedenken. Hierfür hat diese eine Tafel im Boden errichtet, auf der jede Nationalität der Opfer eingraviert ist und die sich stets auf 37 Grad Körpertemperatur befindet. Auch hierbei stiegen vielen von uns wieder die Tränen in die Augen, weil es keine bessere Möglichkeit gäbe, den  Opfern zu gedenken und diese Tafel jeden Menschen erreicht.

Auch auf dem Rückweg zur Jugendherberge herrschte Stille im Bus, da wir immer noch in Gedanken bei den Opfern und schockiert von den Machenschaften der Nationalsozialisten waren. Außerdem ging uns allen die Frage nicht aus dem Kopf, warum die Weimarer, ganz Deutschland und noch schlimmer, ganz Europa trotz Bewusstsein dieser Machenschaften nichts dagegen unternahmen und so ein Vergehen zu stoppen versuchten.

Am Abend nach diesem bedenkenswerten Tag hatten wir die Möglichkeit diesen in einer von der EJBW angelegten Disco ausklingen zu lassen.

Freitag ging es dann nach einer kurzen Besprechung unserer Woche in Weimar wieder nach Hause, wo wir von unseren Familien erwartet wurden.

Alles in Allem war die Zeit in Weimar unvergesslich und sehr interessant. Dieser Ort verbindet auch heute noch viele historische Epochen und Geschichten, angefangen bei der Weimarer Klassik bis hin zu der Brutalität und den schrecklichen und unmenschlichen Machenschaften der Nationalsozialisten und verdeutlicht jungen Menschen auf einfachem Weg, dass sich so etwas niemals wiederholen darf und wir alles daran setzen müssen, für ein demokratisches Europa zu sorgen.

Sophie Großmann, Q1

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