Landtagsbesuch der Q2 Sowi Grundkurse

Reportage, Sozialwissenschaften - Reportage vom 12.01.2017

Wie wäre es, einmal miterleben zu können, wie Politik konkret aussieht?
Diese Frage haben sich die SoWi Grundkurse der Q2 unserer Schule gestellt und beschlossen, gemeinsam mit dem Kurslehrer Herrn Feldmann und der SoWi-Lehrerin Frau Fuchs eine Exkursion in den Landtag NRW nach Düsseldorf zu unternehmen, um aus erster Hand zu erfahren, wie politische Prozesse in der Praxis aussehen.

Am 2.12.2016 war es dann soweit und wir trafen uns um sieben Uhr morgens, was die Frage aufwarf, ob sich dieser Ausflug überhaupt lohnen könne, am Dinslakener Hauptbahnhof. Einen leicht verspäteten Zug und eine Düsseldorfer S-Bahn später fanden wir uns nach einem kurzen Fußmarsch und einer Sicherheitskontrolle im Eingangsbereich des Landtags ein.
Auf eine kurze Wartezeit folgte ein Vortrag über den Landtag selbst. Anschließend lud man uns zu einem ausgiebigen Frühstück in der Landtagskantine ein, das wir sehr begrüßten. Nach dem Essen fuhren wir in die erste Etage, um auf den Besucherrängen des Plenarsaals Platz zu nehmen. In diesem Saal, dem Herzstück des Landtags, offenbarte sich uns ein völlig anderes Bild von Parlamentarismus und gelebter Politik als jenes, das wir in der Schule kennenlernten.
Wir wohnten einer sogenannten „Aktuellen Stunde“ bei, einer Sitzung, in der auf Antrag einer oder mehrerer Fraktionen ein zur Zeit besonders wichtiges Thema erörtert wird. Später erfuhren wir, dass die Aktuelle Stunde zum Thema „Schlechte Wirtschaftspolitik in Nordrhein-Westfalen droht, langfristig Zukunftschancen und Wohlstandsperspektiven zu verspielen“ auf Antrag der Fraktion der FDP, die mit dem Antrag einer Aktuellen Stunde zum Thema „Neues Gutachten blickt mit Sorge auf die Wirtschaftslage in Nordrhein-Westfalen – Landesregierung muss nun handeln anstatt die Situation schönzureden!“ der CDU-Fraktion verbunden wurde, mit ähnlichem Themenbezug schon mehrfach geführt wurde. Da wir dies allerdings zur Zeit der Debatte nicht wussten, waren wir umso schockierter, als sich die Diskussion, die sich im Wesentlichen aus abwechselnd von Regierung und Opposition vorgetragenen Parlamentsreden zusammensetzte, in eine unsachliche und zum Teil kindische Auseinandersetzung zu verwandeln schien. Ausführungen wurden durch Zwischenrufe und Gelächter unterbrochen und Abgeordnete erinnerten teilweise an Choleriker. Regierung und Opposition redeten, oder besser, schrien aneinander vorbei und es wurde schnell ersichtlich, dass es nicht mehr um eine lebendige Diskussion, sondern vielmehr um Selbstdarstellung ging. Jeder bezog sich nur auf diejenige Studie zur Wirtschaftslage in NRW, die den eigenen Standpunkt untermauerte und alles andere wurde als „postfaktisch“ (hier handelt es sich um ein Zitat) abgetan. Das alles wirkte auf uns zunächst erschreckend, später jedoch vor allem komisch und wir stellten schnell fest, wie gut es unsere Lehrer, die uns ab und an undiszipliniertes und unangemessenes Verhalten attestieren, doch eigentlich mit uns haben. Die Diskussion überraschte uns also in erster Linie und führte uns vor Augen, wie lebhaft (und laut) Parlamentarismus doch sein kann.
Nach der aufwühlenden Debatte trafen wir uns mit dem Abgeordneten Martin-Sebastian Abel, der zurzeit für die Fraktion der Grünen einen Sitz im Landtag innehat. Er führte uns in den Fraktionssaal der Grünen, der ursprünglich mal eine Terrasse war, die aber, als klar wurde, dass sich, anders als Politologen zur Bauzeit des Landtags annahmen, kein Zwei-Parteien-System in Deutschland etablieren würde, kurzer Hand zum Sitzungssaal für eine weitere Fraktion umgebaut wurde.
Es sollte eine Diskussion folgen, die von den meisten von uns als Highlight unseres Ausflugs angesehen wurde, die allerdings ebenso die meisten von uns enttäuschte.
Herr Abel, der sich auf Tierschutz und Haushalt spezialisiert hat, stellte sich freundlicherweise für eine einstündige Diskussion zur Verfügung, in der wir ihn mit zuvor im SoWi-Unterricht vorbereiteten Fragen löchern wollten. Doch leider erwartete uns keine interaktive, kontroverse Diskussion mit klaren Standpunkten. Anstelle eines Austausches von Argumenten oder Ansichten zu einer Frage folgte eine lang und breit ausgeführte, meist unkonkrete Antwort, die im Wesentlichen aus der Formulierung „darauf gibt es keine einfache Antwort“ bestand. Aus dem Unterricht war uns bekannt, wie gefährlich solche einfachen Antworten, wie man sie vor allem im populistischen Milieu antrifft, für unsere Gesellschaft sind - jedoch sahen wir keinen Grund, nicht wenigstens zu versuchen, uns kompliziertere Antworten näher zu bringen. Ist denn nicht eine Antwort, die alle möglichen Antworten auf Probleme als zu komplex verklärt, ebenso eine einfache Antwort? Und ist diese Antwort dann überhaupt eine Antwort auf Fragen und Probleme?
Dementsprechend enttäuscht und teilweise auch wütend verließen wir den Landtag und machten uns auf den Weg zurück nach Dinslaken.

Alles in allem klingt es zwar fast so, als wäre unser Landtagsbesuch eine negative und nicht lohnenswerte Erfahrung, doch dieses Bild möchte ich revidieren. Es wäre heuchlerisch zu sagen, wir wären zufrieden und glücklich nach Hause gefahren und hätten im Hinterkopf die schöne und sorglose Gewissheit, dass in der (Landes-)Politik alles rund läuft und wir uns keine weiteren Gedanken machen müssen. Doch ich denke, dass besonders daran der Mehrwert unserer Exkursion deutlich wird: wir konnten nicht nur Politik aktiv miterleben, sondern unser Ausflug nach Düsseldorf wirkte auch wie ein Weckruf, der uns vor Augen geführt hat, dass eine kritische Auseinandersetzung mit der Politik und politischen Belangen wichtig, ja sogar notwendig ist. Jeder ist selbst dazu angehalten, sich seine eigene Meinung zu bilden und für diese einzustehen und immer wachsam zu bleiben und genau hinzuhören, was wirklich hinter dem Gesagten steckt.

Marc Sieradzki, Q2

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